Das inzwischen 19. Fest der Begegnung fand am Himmelfahrtstag, dem 29. Mai 2014, erstmals am und im Familienhaus Magdeburg im Nordpark statt. Trotz des vorangegangenen zweitägigen Dauerregens und kühler Temperaturen kamen 2500 Besucher, um sich an den Ständen der rund 30 Organisationen zu informieren, auszutauschen, an der einen oder anderen Aktion teilzunehmen oder kulinarische Köstlichkeiten zu probieren.
Die AGSA an den Ständen und auf der Bühne
Die AGSA präsentierte sich mit ihren Mitgliedern: Deutsch-Polnische Gesellschaft Sachsen-Anhalt e.V., Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V., Magletan e.V. / Weltladen Magdeburg, Meridian e.V., Vereinigung der Freunde Palästinas und Verein für traditionelle chinesische Kultur Magdeburg e.V..
Der Dachverband selbst hielt Infos, Angebote und Arbeitshilfen rund um das Thema Diversity bereit – ausgehend von seiner Mitwirkung im IQ-Netzwerk Sachsen-Anhalt und im Kooperationsprojekt "Interkulturelle Öffnung / Interkulturelle Bildung – Fortbildungsservice für Kommunen und Landkreise“. Aktuelle Informationen zur Integrationsarbeit im Land, neuen gesetzlichen Regelungen und Beratungs- wie auch Fortbildungsmöglichkeiten bietet das von der AGSA redaktionell betreute Integrationsportal der Landesregierung. Die Europäischen Freiwilligen der AGSA und der Deutsch-Polnischen Gesellschaft luden zum Tausch individuell gestalteter Postkarten zu den Themen Toleranz und Weltoffenheit ein und informierten über das aktuelle Programmangebot im einewelt haus als auch das bald bevorstehende 23. Eurocamp des Landes Sachsen-Anhalt in Arendsee. Der Kooperationspartner LKJ bot kostenloses Popcorn und befragte das Publikum nach Wünschen und Ideen für das Fest der Begegnung 2015.
Auf der Bühne gestalteten den Programmteil „Interkultur“:
- für die Deutsch-Bulgarische Soziokulturelle Vereinigung die studentische Volkstanzgruppe 'Ludo mlado' mit landestypischer Musik und Tänzen.
- für den Deutsch-Vietnamesischen Freundschaftsverein die Tanzgruppe Pfirsichblüte mit traditionellen vietnamesischen Tänzen
- für den Verein Meridian e.V. das Kindermusikstudio unter der Leitung von Raissa Lerman mit „Swing 60er“ und „Die Wolken auf“ sowie Iwan Stenkin und Lawinia Harbeck mit dem russischen Tanz „Kadril“
- für den Verein Landsmannschaft der Deutschen aus Russland / Ortsgruppe Magdeburg: Kindertanzstudio unter Leitung von Lilli Kohl mit „Kasachischer Tanz“
- für den Verein Inturia e.V. die Frauentanzgruppe mit „Sommerunwetter“ und „Orientalischer Tanz“, die Kindertanzgruppe mit „Farben“, „Kükentanz“ und „Schweinchentanz“ und die Solotänzerin Tatiana Aleshina
Zeitzeugengespräche: Rückblick – Einblick – Ausblick - 20 Jahre „Himmelfahrtskrawalle“ in Magdeburg
Zum 20. Mal jährten sich in diesem Jahr die rassistischen Ausschreitungen in Magdeburgs Innenstadt am Himmelfahrtstag 1994. Im Jahr 1996 und in Reaktion auf die Himmelfahrtskrawalle führten Polizei, Kirchen, Religionsgemeinschaften sowie interkulturelle Vereine und Initiativen das erste Fest der Begegnung durch. Auch Vereine und Projekte wie die AGSA, Trägerin des einewelt hauses, oder das Café Krähe der Hoffnungsgemeinde am Krähenstieg entstanden in dieser Zeit, um durch Begegnung, Information und Vernetzung demokratische Werte wie Toleranz, Vielfalt und Solidarität zu fördern.
Wie wurde der Himmelfahrtstag 1994 persönlich erlebt, was führte zu den Ausschreitungen und wie kam die Idee eines Begegnungsfestes - und damit eine bundesweit einmalige Kooperation zwischen Polizei, Kirche und interkulturellen Vereinen - zustande? Nachdem sie auf der Bühne für ihren engagierten Einsatz von Polizeipräsident Schomaker, Oberkirchenrat Steinhäuser, der Landesintegrationsbeauftragten Susi Möbbeck und dem Geschäftsführer der AGSA, Michael Marquardt, mit einer Laudatio geehrt wurden, ließen sich Lothar Schirmer, Gabriele Herbst, die Eheleute Vater und Vu Thi Huong Ha als Initiatoren und langjährige Akteure des Begegnungsfestes von Lukas Holz und Marie Julienne, AbsolventInnen eines Freiwilligen Sozialen Jahres im politischen Leben bzw. eines Europäischen Freiwilligendienstes bei der AGSA, vor ca. 20 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern befragen.
„Es war wie ein eitriges Geschwür, das angestochen wurde," schätzte Gabriele Herbst, ehem. Ausländerbeauftragte des Kirchenkreises Magdeburg und Pfarrerin der Hoffnungsgemeinde in Magdeburg Nord a.D., die Ausschreitungen 1994 ein. Die Umwälzungen Anfang der 90er Jahre brachten Identitätsverlust und Existenzangst mit sich, die gerade bei den damals 15-20-jährigen zu Entwurzelung und Radikalisierung führten.
„Nach den Progromen in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda nun auch Magdeburg. Reaktionen darauf? Was ich wahrnahm war großes Schweigen und ich fragte mich, wofür wir 1989 auf die Straße gegangen sind. Überall – auch bei uns – war Überforderung," so Christina Vater, damals Ausländerbeauftragte der Landeskirche.
Vu Thi Hoang Ha kam 1978 zum Studium in die DDR, kurz vor der Wende dann als Dolmetscherin für vietnamesische Vertragsarbeiterinnen in Burg. Nach der Wende beriet sie Vietnamesen, die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft immer feindseliger betrachtet wurden, mit verbalen und körperlichen Übergriffen konfrontiert waren und zudem um ihr Aufenthaltsrecht bangen mussten. Die Ereignisse von Rostock gaben den Anlass, den Deutsch-Vietnamesischen Freundschaftsverein zu gründen, um Selbstschutz zu organisieren. In dem Wissen, dass der Staat und die Politik nichts tun, nicht helfen würden, organisierte sich der Verein – auch, um auf etwaige Ausschreitungen, die ja dann mit den Himmelfahrtskrawallen '94 folgen sollten, vorbereitet zu sein. Es wurden Bettlaken zusammengebunden, um sich notfalls abseilen zu können, da man sich auf durch Molotow-Cocktails hervorgerufene Brände vorbereiten musste - ein Leben in ständiger Angst. Überwiegend positive Erfahrungen habe sie mit den DDR-Bürgern vor der Wende gemacht, erinnert sich Ha, wenngleich es natürlich auch damals Rassismus gab, allerdings weniger offensiv. „Unter anderem auch deshalb, weil jedes Hakenkreuz eine Ermittlung nach sich zog und strenge Ahndung," ergänzt Lothar Schirmer. Das änderte zwar nichts am rechten Denken, hatte jedoch Abschreckungspotenzial und behinderte den Aufbau größerer Neo-Nazi-Strukturen. Fehlende Fremdheitserfahrungen und fehlender Umgang mit Vielfalt galt es Stück für Stück nachzuholen bzw. zu erlernen, wurden sich die späteren Initiatoren des Festes der Begegnung schnell bewusst. Wolfgang Mönckmeyer, der spätere Polizeipräsident, damals noch Polizeichef in Magdeburg, nahm Kontakt zu Familie Vater auf. „Am Anfang war große Skepsis," so Christina Vater, „unsere Erfahrungen mit der Polizei waren sowohl zu DDR-Zeiten als auch nach der Wende keine positiven und von Vorbehalten geprägt.“ Lothar Schirmer, ehem. Leiter des Dezernats Polizeiliche Prävention der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord und Koordinator des Begegnungsfestes bis zu seiner Pensionierung 2009, organisierte schließlich am Himmelfahrtstag 1996 mit den anderen Akteuren aus Kirche und „Vereinen der Ausländerarbeit“, wie es damals hieß, auf der Wiese hinter dem Polizeirevier Mitte das erste Fest der Begegnung. Seit 1997, mit zweijährigem Ausflug in den Elbauenpark, zog das Fest schließlich in den Stadtpark.
Parallel gab es viele Jahre die Aktion „Fremde sehen grün – Grüne gehen fremd“, die beidseitige Begegnungen im Revier und den Asylbewerbergemeinschaftsunterkünften beinhaltete.
„Heute ist leider vieles nicht mehr mit dem logistischen, personellen und finanziellen Aufwand der 90er Jahre möglich," bedauert Lothar Schirmer. Dass die ungewöhnliche Partnerschaft zwischen Polizei, Kirche und interkulturellen Vereinen bestehen bleibt, viell. auch neue Formen der Begegnung und Auseinandersetzung mit alltäglicher Diskriminierung finden muss, sind sich alle einig. Ebenso, dass es bei allem Fortschritt und positiver Entwicklung zu einem weltoffenen Magdeburg, wichtig sei, dem latenten Rassismus in der Mitte der Gesellschaft und auf Ämtern und Behörden entgegenzutreten.